Samstag, 27. Februar 2010

Bahnhof Heidelberg

Im Heidelberger Bahnhof gibts mitten in der Eingangshalle ein paar – wie nenn ich diese Butzen jetzt mal, Pavillons? – Pavillons, die allem Anschein nach durch entsprechend gewillte Geschäftleute irgendwie wochenweise zu mieten sind. Ich hab da schon so einiges an Verkaufsmodellen kommen und gehen (und auch wiederkommen) sehen. Köstlich ist zum Beispiel alle Vierteljahr dieser Mensch mit den Schneidwaren (Fachbegriff), von Scheren über zuweilen echt monströse Nagelknipser bis hin zu Skalpellen (welcher Chirurg kauft wohl seine Bestecke im Bahnhof?!) und Zahnarztspiegeln und -spateln. Zahnarztzangen hat er wohl vielleicht auch im Angebot, könnt ich mir vorstellen, aber so genau hab ich dann doch nicht hingeschaut, das ist auch so immer alles grausig genug.

Neu ist in der Riege der hier sich einmietenden Leute seit ein paar Tagen ein Ökobauer und –bäcker der Extreme, der mit seinen agrarischen Produkten auf sich aufmerksam machen möchte. Und nicht zuletzt mit den Grundsätzen seiner Tätigkeit.



Wie muss man sich das wohl vorstellen? Wird bei denen das Brotgetreide gewaltfrei geschnitten, gedroschen und gemahlen? – Das heißt, nein, Dreschen gehört ja im strengen Sinne nicht zum Anbau, das ist mehr schon unter dem Aspekt Ernte zu sehen, den man aber clevererweise in der PR-Maschinerie ausspart! (Ha! Erwischt!)

Wie aber dann? Das Feld wird mit dem Seidenschal gepflügt? Das Grünzeug und die Nüsse usw. fürs selbstgeklöppelte Pesto werden unter sanftem Streicheln im (selbstverständlich handwarm- oder wohl besser noch kaltmassierten) Öl gebadet, bis alles ob dieser Sinnesreize vor Wohligkeit, womöglich behaglich stöhnend, schier zerfließen möchte und sich selbständig in die Weckgläser (den "Ruheraum" für Vegetabilien?) zurückzieht und den Deckel hinter sich zuschraubt?

Mer weeß et nich, mer steckt nich drin. Und fragen möchte man auch mal wieder nicht, irgendwie ists ja doch viel schöner, da einfach die Fantasie spazieren gehen zu lassen.


In die nüchterne Realität zurück zwingt den philologisch interessierten Menschen dann einen Moment lang aber doch der Anblick der großen Anzeigetafel in der Bahnhofshalle.

Heidelberg ist nämlich einer der ganz wenigen unter den mir bekannten Bahnhöfen, in denen großflächige Information über die anstehenden Zugläufte noch mit so Abroll-Dingern geregelt wird und nicht mit einer digitalen Leuchtanzeige. Das sorgt manchmal auch für recht vergnügsame Effekte, wenn son Abblätterding mal wieder hängen bleibt. Auf die Weise fahren die Züge dann schon mal angeblich nach Fralkfurt oder Wiesloch-Wallcoq.



Und wieder kommt man ins Träumen, während man gedankenverloren seinen Pappbecher mit dem (erstaunlich gut trinkbaren) Ein-Euro-Kaffee von "Yorma's" in den Händen dreht und den Geruch von frischgebackenem Brot aus der gewaltfreien Agrarökonomie noch in der Nase hat: "Wallcoq-au-vin, wie mag das wohl schmecken ...?"

Hachja ... Aber nein, besser als Helgas fränkischer Sauerbraten kann das ja nicht sein! Ich mein: Rindstück ausgewählter Art mindestens eine Woche in der essigbetonten Würzmarinade gelagert, dann im Bräter (welch barsches Wort! Aber mach was, so heißt diese verdienstvolle Gerätschaft halt im entsprechenden Jargon) bei sanfter Hitze im Würzsud gut gebadet stundenlang und unter Zusatz von einzwei glasvoll guten Weins in die Ofenröhre und dort für ausreichende Zeit der Wärme anheimgegeben, ohne jedoch dabei zu vergessen, den unbedingt notwendigen Lebkuchen in die Soße gemengt zu haben ... (schmatz) -- nein, auch ein Wallcoq-au-vin kann selbst bei aktivster Fantasie und unter Aufbietung aller verbliebener (Raucher, ne?) Rezeptorzotten auf der Zunge und in der Nase nicht mit Helgas fränkischem Sauerbraten konkurrieren!

Echt nicht.

Aber der Gedanke war trotzdem schon mal irgendwie prima, oder?!

Nuja.

Blöd ist allerdings, dass diese Bahn-Anzeigen natürlich alle paar Minuten wechseln! Bis man da mal den Fotoapparat ordentlich in Anschlag hat, ist schon wieder alles anders. Bäh! Denn wie gern hätte ich gestern das Ziel Frankcurt abgelichtet! Man stelle sich das mal als echten Vornamensversuch vor! Auf derart kevineske Kapriolen sind ja bisher noch nicht einmal die Brüdernundschwestern in den Ostgebieten gekommen; sollte man ihnen vielleicht mal vorschlagen? Den Bild-Beweis muss ich aber schuldig bleiben, jedenfalls noch, denn meist geht das alles eben doch zu schnell, wie gesagt.


Aber nicht nur mechanische Unzulänglichkeiten sorgen in Heidelberg für den einen oder anderen rechtschreibérischen Kopfkratzer im ÖPNV. In der Straßenbahn (wie ich neuerdings feststelle ist übrigens inzwischen auch, selbst, sogar in Heidelberg die Straßenbahn, in die man einsteigen kann, ohne vorher ein Bergsteigerdiplom gemacht zu haben, erfunden worden! Allerdings ohne dass sich dieser, an sich ja höchst lobenswerte, Gedanke schon flächendeckend durchgesetzt hätte) hängen immer gern mal Werbe- und Ankündigungsplakate, über deren Gestaltung sich die entsprechenden Layout-Praktikanten oder Art-Directors (wo ist da eigentlich der Unterschied?) besser nochmal einen oder zwei Gedanken gemacht hätten.



Nicht dass ich was gegen die Ausbreitung von gepflegtem Jazz oder qualifiziertem Englischunterricht einzuwenden hätte! Im jeweiligen Gegenteil! -- Aber:

Wann war wohl zuletzt ein 29.02. an einem Donnerstag? In diesem Jahr jedenfalls schon mal nicht.

Abgesehen davon und vor allem jedoch: Kein Wunder, wenn sich die allgemeine kritische Sensibilität gegenüber den Themen "Datenschutz" und "demokratische Freiheitsrechte im Computerzeitalter, unter Berücksichtigung des das Volk bekloppt machen sollenden Irrsinns sogenannter Terrorbekämpfung, der nur dazu dient, die Leute blöd und gefügig zu halten, wogegen wir aber dringend was machen müssen, wenn wir den Schäubles und Westerwelles dieser unserer Republik nicht das Feld überlassen wollen" nur so mühsam durchsetzt, wenn man neben einem flashcne Datum auch noch lesen muss, dass selbst so ein gestandenes Grundrechteschützer-Mannsbild wie Gerhart Baum es nur zu einem Votrag bringt.

Da geht ja dann niemand hin. Kann ja unter diesen Ankündigungsbedingungen schon niemand. Am 29.02.?!

Seis drum, fordert dieser Fund mich also dazu heraus, dann eben auf diesem Wege auf dies und dies und dies hinzuweisen und diese Themen weiter in die Welt zu tragen.

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